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Die Zersiedelung der Schweiz schreitet ungebremst voran. Auch das neue Raumplanungsgesetz bringt nicht die erhoffte Wende in der Bodenpolitik. Das hat gravierende Folgen. Der Hausverein Schweiz unterstützt deshalb die Zersiedelungsinitiative der Jungen Grünen.
Wo ist die Grenze zwischen Grenchen und Bettlach ? Zwischen Niederhasli und Niederglatt ? Im Mittelland wachsen die Ortschaften mehr und mehr zusammen, überall spriessen Industrieareale oder Einfamilienhausquartiere aus dem Boden. Tag für Tag wird in der Schweiz eine Fläche von acht Fussballfeldern neu überbaut. Das ist rund ein Quadratmeter pro Sekunde. Neue Einkaufszentren, Einfamilienhäuser, Strassen, Parkplätze, Industrie- und Gewerbeflächen fressen jährlich rund 31 Quadratkilometer an zumeist landwirtschaftlich genutzten Flächen weg. Nichts vermochte diese Entwicklung bisher zu stoppen; im Gegenteil, die Zersiedelung schreitet immer schneller voran.

Kein Fortschritt seit 1988

Seit 1988 kämpft der Hausverein Schweiz für einen haushälterischen Umgang mit der Ressource Boden. Fast dreissig Jahre später sind die Ziele bei Weitem nicht erreicht. Immer mehr Menschen beanspruchen immer mehr Wohnfläche pro Person, und nach wie vor wuchern die Einfamilienhauszonen in die Landschaft hinaus. Darum unterstützt der Hausverein Schweiz die Initiative « Zersiedelung stoppen – für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung » . Diese von den Jungen Grünen lancierte Initiative will erreichen, was Bund, Kantone und Gemeinden bisher nicht erreicht haben : die Zersiedelung aufhalten. Möglich ist das, wie das Beispiel des Rodungsverbots im Wald zeigt : Wo Wald gerodet wird, muss er andernorts aufgeforstet werden. Das gleiche Prinzip wird nun auf das Kulturland angewandt : Wo eingezont wird, muss andernorts ausgezont werden. Die Grösse der Bauzonen wird unveränderlich. Das verändert den Blick auf die verbleibenden Flächen.

Die Köche des Siedlungsbreis

Man ist versucht, die Zersiedelung dem Bevölkerungswachstum zuzuschreiben. Die Zahlen aber erzählen eine andere Geschichte : Von 1985 bis 2009 wuchs die Bevölkerung um 17,5 Prozent. Gleichzeitig stieg die Fläche für Wohnbauten um 44,1 Prozent, also um das Zweieinhalbfache, die Fläche der Parkplätze explodierte gar um 55,4 Prozent. Das Bevölkerungswachstum kann daher nicht der entscheidende Faktor sein. Vielmehr ist es eine Raum- und Siedlungsplanung, die diesen Namen nicht verdient. Sie führte nicht nur zu Abertausenden von aufgereihten Einfamilienhäusern mit Umschwung, sondern auch zu einem grossen Flächenverschleiss durch die nötigen Strassen und Infrastrukturen im zersiedelten Gebiet. Zusätzlich steigt seit Jahrzehnten der Wohnflächenverbrauch an. Grosszügig Wohnen ist ein Luxus, den sich längst nicht mehr nur Villenbesitzer und Schlossherren leisten.

Industrie- und Gewerbeflächen tragen ihren Teil zur Zersiedelung bei. Von den zwischen 1985 und 2009 neu geschaffenen Arealen gingen 71 Prozent auf Kosten der berühmten grünen Wiese, das heisst auf Kosten von Ackerland, Naturwiesen und weiteren Landwirtschaftsflächen.

Die Autorin

Corinne Roth

Corinne Roth Vock
Journalistin
schlosswort

Aus «casanostra» 133

casanostra 133 - November 2015

Folgen der Verschwendung

Das Problem der Zersiedelung ist viel weitreichender als nur die « Verdörfelung » der Schweiz, wie sie Max Frisch schon fast liebevoll bezeichnete. Denn wie und wo wir wohnen beeinflusst nicht nur viele Bereiche des Alltags, sondern es betrifft auch zahlreiche grundlegende Fragen der Umwelt- und Sozialpolitik.

  • Zersiedelung führt zu einem höheren Verkehrsaufkommen, weil Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitaktivitäten weit voneinander entfernt liegen.
  • Der Anteil an Automobilität ist hoch, weil auf dem Land der Takt des öffentlichen Verkehrs und das Haltestellennetz zu wenig dicht sind, als dass er eine echte Alternative sein könnte.
  • Mit jedem neuen Gebäude, jedem Parkplatz und jeder Strasse wird ein Stück wertvolles Landwirtschaftsland versiegelt. Versiegelte Böden sind in der Regel irreversibel zerstört. Die Zersiedelung gefährdet damit die regionale Versorgung mit Nahrungsmitteln.
  • Die Identität der Ortschaften verschwimmt. Zugehörigkeitsgefühl und soziale Netzwerke leiden unter den verschwindenden Grenzen zwischen Stadt und Land, zwischen einem Ort und dem nächsten.
  • Die Biodiversität schwindet. Mit ein Grund sind Strassen und Siedlungen, die die Landschaft zerschneiden. Wo Lebensräume nicht mehr vernetzt sind, nimmt die Artenzahl ab. Auch fallen den Bauten wertvolle Biotope zum Opfer.

Hier greift die Zersiedelungsinitiative

Die effektivste Massnahme gegen eine weitere Zersiedelung ist, das noch unbebaute Land zu schützen. Die Zersiedelungsinitiative macht in diesem Punkt Nägel mit Köpfen : Die Einzonung von weiterem Bauland soll nicht mehr möglich sein, die bestehenden Reserven müssen genutzt werden, um den Bedarf an Wohnraum zu decken. Gemeinden dürfen aber Bauland eintauschen. So kann beispielsweise Zürich weiter wachsen, wenn dafür eine andere Gemeinde unbebautes Bauland auszont.

Die Initiative zieht aber nicht nur die äussere Grenze, sondern bringt auch qualitative Anforderungen auf den Tisch : Gefördert werden künftig im Sinne einer hochwertigen Verdichtung sogenannt nachhaltige Quartiere. Idealvorstellung ist ein urbaner Raum mit rund 500 EinwohnerInnen, lokalem Zentrum, grosszügigem Grünraum und trotzdem sehr geringem Landverbrauch. Die Wege sind kurz, der ÖV attraktiv. Ein nachhaltiges Quartier verbindet die sozialen und räumlichen Vorteile einer Dorfgemeinschaft mit der dichten Bauweise und dem guten ÖV-Angebot des urbanen Raums. Gute Beispiele sind das Hunziker-Areal, die Siedlung Sihlbogen ( beide Zürich ) oder die Siedlung Jonction-Artamis in Genf.

Das Raumplanungsgesetz reicht nicht

Warum braucht es die Initiative trotz des neuen Raumplanungsgesetzes ( RPG ) , das seit 2014 in Kraft ist ? Dem neuen Raumplanungsgesetz liegt zwar durchaus der Wille zugrunde, die Zersiedelung zu bremsen, aber es greift nicht. Die Gründe dafür sind klar :

  1. Der Bedarf nach Bauland wird durch die Kantone definiert. Die Baulandreserven der Gemeinden dürfen künftig nur noch für den Bedarf der kommenden 15 Jahre ausgelegt sein. Das Problem : Die Kantone haben bei der Definition dieses Bedarfs ( der bestimmt wird durch das zu erwartende Szenario des Bevölkerungswachstums ) nahezu freie Hand. Kein Kanton beschränkt sich freiwillig, zumal es auch um starke wirtschaftliche Interessen geht.
  2. Das RPG setzt den Flächenverbrauch der Vergangenheit als Massstab. Der Baulandbedarf wird berechnet nach der bestehenden Dichte in der Gemeinde : Wurde bisher grosszügig und weit auseinanderliegend gebaut, nimmt man an, dass der Bedarf auch künftig höher sein wird als in einer dichter gebauten Gemeinde. Die Gemeinde kann also genau gleich weiter bauen wie bisher, ohne Anreiz zu Verdichtung.
  3. Rollende Bauzonenerweiterung : Das RPG definiert, dass die Bauzonen maximal für den Bedarf der kommenden 15 Jahre ausgelegt sein dürfen. Ändert sich dieser Bedarf im Laufe der Zeit, ist eine Richtplanrevision möglich, und die Zonen werden für die wiederum nächsten 15 Jahre neu definiert.

Zweite RPG-Revision ist auf Eis gelegt

Die zweite RPG-Revision hätte den Schutz des Kulturlandes zum Thema gehabt. Hätte, denn der Bund hat im Sommer darüber informiert, dass die Revision « mit verlangsamtem Tempo » weitergeführt werde und frühestens 2020 oder 2021 mit Resultaten zu rechnen ist. Grund dafür ist der grosse Widerstand aus Kantonen, Gemeinden und aus der Wirtschaft. Das ist besonders heikel, weil durch die erste Revision der Druck auf die nicht eingezonten Flächen steigt. Konkret : Bauten ausserhalb der Bauzonen werden attraktiver, weil die Bauzonen knapper werden. Zwar will der Bund den Effekt mit einer Erneuerung des alten Sachplans Fruchtfolgeflächen lindern, dieser würde aber nur einen Teil des Problems abdecken. Die Zersiedelungsinitiative kommt daher genau zum richtigen Zeitpunkt : Sie bringt frische Ideen ins Spiel und setzt den politischen Kräften neuen Druck auf, bevor aus der zweiten RPG-Revision ein zahnloser Tiger werden kann.



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