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Elektro-Boom stellt neue Herausforderungen

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  Do, 14.06.2018

Fast hundert Fahrzeuge mit Elektroantrieb werden wöchentlich in der Schweiz neu immatrikuliert – und eine halbe Million eBikes sind bereits auf Schweizer Strassen unterwegs. Der Trend zur Elektromobilität gewinnt immer mehr an Fahrt. Langfristig und vorausschauend denken lohnt sich – ganz besonders für Immobilienbesitzende und Bauherrschaften.

Im internationalen Vergleich ist die Schweiz freilich ein Entwicklungsland im Bereich Elektroautos: während hierzulande auf 55 neu zugelassene Benzin- und Diesel-PW ein Hybrid- oder Elektromotor kommt, ist etwa in Norwegen heute jedes zweite zugelassene Fahrzeug elektrisch betrieben. Der Trend zeigt jedoch gemäss den Zahlen des Bundesamts für Statistik auch hierzulande nach oben.

Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr: Elektroautos tragen zur Energiewende bei. Ein Fahrzeug mit Elektroantrieb hat dreimal weniger Energieverbrauch als eines mit Verbrennungsmotor. Selbst die tatsächlich noch schlechtere Energiebilanz der Produktion – namentlich jene des Akkus – wird von Elektroautos nach 30 000 gefahrenen Kilometern egalisiert. Ab dieser Distanz ist der Elektromotor gegenüber dem Verbrenner im Vorteil.

Das leidige Laden

Der Wermutstropfen folgt indes auf dem Fuss: Tanken ist beim Elektroauto keine Sache von einigen Minuten; eine Vollladung des Stromspeichers zieht sich auch an Schnellladestationen in die Länge. Kein Problem für all jene, welche über Nacht oder während der Arbeitszeit Zugriff auf eine Ladestation haben; Pech hat, wer im urbanen Quartier mal hier, mal dort parkt.

Vereinzelt trägt die öffentliche Hand diesem Problem Rechnung. Der Kanton Basel-Stadt etwa engagiert sich mit diversen Projekten und Ladeinfrastrukturprogrammen für die Entwicklung der Elektromobilität und richtet die eigene Verkehrsplanung auf die sich ändernden Bedürfnisse aus. Der Kanton hat darum unlängst den «Goldenen Stecker der Elektromobilität» des Branchenverbands Swiss eMobility eingeheimst. Von einer schweizweit flächendeckenden Einsicht kann jedoch nicht die Rede sein. Noch nicht.

Vorausdenken lohnt sich

Egal, ob eBike oder Elektroauto: Wer zu Hause auf eigene Rechnung Saft tankt, wird keine Probleme haben. Haarig kann es werden, wenn im Mietshaus oder in der Einstellhalle des Mehrparteienhauses Strom auf die Rechnung des Hauses gezapft wird. Die Nachbarin mit dem Diesel oder der ambitionierte Mountainbiker vom dritten Stock könnte sich daran stören.

Bislang taucht das Thema allerdings bei den einschlägigen Beratungsstellen kaum auf – weder beim Hausverein noch beim Mieterverband. Gründe dafür können mehrere sein, wie Immobilienverwalterin und Hausvereins-Beraterin Barbara Mühlestein mutmasst: «Velo-Akkus werden wohl vor allem im eigenen Keller und damit auf eigene Rechnung geladen.» Auch die Ladestation in der Einstellhalle habe weder in Beratungsgesprächen noch in den von ihr verwalteten Objekten bislang zu bösem Blut geführt, sagt Mühlestein – möglicherweise weil die Abrechnung des bezogenen Stroms sauber geregelt sei, wohl aber auch, weil Elektroautos immer noch einen minimalen Anteil aller Automobile ausmachen. «Ich rechne jedoch angesichts des Trends damit, dass das Thema über kurz oder lang aufpoppt.»

«In wenigen Jahren wird es schwierig sein, einen Einstellhallenplatz ohne Ladeinfrastruktur noch zu vermieten.»

Der Entwicklung müsse Rechnung getragen werden – und Lösungen für eine gerechte Abrechnung existieren. Letztlich sei es in Mietshäusern bis vor einiger Zeit gang und gäbe gewesen, dass der Waschküchen- oder Kellerstrom von allen Parteien getragen wird. «Wenn also beim Waschen eine verursachergerechte Abrechnung möglich ist, warum sollte dies nicht auch in der Einstellhalle funktionieren?»

Die Frage stellt sich jedoch nicht nur für Vermietende, sondern durchaus auch für Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer. Hausvereins-Berater und Mediator Michel Wyss betrachtet das Problem pragmatisch: «Es ist klug, bei einem Neubau an die zukünftige Entwicklung zu denken. Selbst wer im Moment keinen Bedarf hat: vorsorglich einige Unterputzrohre zu verlegen, erleichtert bei späterem Bedarf eine saubere Installation von benötigten Stromleitungen.» Auch Wyss schätzt die Entwicklung so ein, dass der Markt gehörig wächst und der Bedarf an Ladestationen zunimmt. «Ich kann nicht verstehen, wie Architekten und Planer heute noch einen Bau hinstellen können und sich um diesen Trend einen Deut scheren.» Dem pflichtet Immobilienverwalterin Barbara Mühlestein bei: «In wenigen Jahren wird es schwierig sein, einen Einstellhallenplatz noch zu vermieten, wenn keine Ladeinfrastruktur vorhanden ist.»

Kommt Politik Wohneigentümern zu Hilfe?

Gerade, wenn auf dem eigenen Dach Strom produziert wird, liegt der Wechsel vom Benzin- oder Diesel-Auto auf der Hand. Und politisch ist der Umstieg vom fossilen Brennstoff hin zur CO²-freien Elektromobilität durchaus gewollt. Energieministerin Doris Leuthard (als Besitzerin einer Photovoltaik-Anlage) macht es vor und lässt sich selbst bereits seit Jahren in einem Tesla kutschieren – sie spart damit als Vielreisende CO²-Treibhausgase satt. Der Erfolg der Elektromobilität steht und fällt jedoch mit den Ladeinfrastrukturen, welche im Vergleich zu schweizweit rund 3000 klassischen Tankstellen noch äusserst dünn sind. Der Mangel bremste den Fortschritt bislang.

Das Sujet ist denn auch seit Jahren ein Dauerbrenner auf der Bundeshaus-Agenda: Just in der Frühjahrssession der Eidgenössischen Räte hat GLPChef und Hausvereins-Mitglied Jürg Grossen nachgedoppelt und per Motion verlangt, dass Sanktionszahlungen, welche bei Nichterreichen der Flottenziele beim CO²-Ausstoss fällig werden, in die Erstellung von Ladeinfrastruktur für Elektroautos fliessen. Grossen sieht in der Massnahme eine Finanzierungshilfe, zumal die Installation einer Ladestation für Elektroautos oft mit erheblichen Investitionen verbunden sei: «Das Fehlen von Ladeinfrastruktur zu Hause und am Arbeitsplatz führt bis heute häufig dazu, dass sich Autofahrerinnen und Autofahrer gegen den Kauf eines Elektroautos entscheiden.»

Der Bundesrat lehnt diese Zweckbindung ab: Auch weiterhin sollen Ladestationen für Elektrofahrzeuge von Privaten errichtet, betrieben und finanziert werden. Es gebe genügend Akteure: Energieversorger, Netzbetreiber, Arbeitgeber, Immobiliengesellschaften und private Hauseigentümer, um für die entsprechende Ladeinfrastruktur zu sorgen, schreibt der Bundesrat in seiner Antwort.

Ob es dereinst dennoch öffentliche Gelder als Anreiz für die Installation von Ladeinfrastrukturen gibt, werden die Räte entscheiden. «Die politische Förderung könnte und müsste stärker sein», sagt etwa Umweltpolitiker Bastien Girod (Nationalrat Grüne/ZH). Er habe Hoffnung, dass dieses Anliegen auch von Bürgerlichen mitgetragen würde. Denn: «Die Steckdose zu Hause ist wichtig für den Wechsel auf Elektroautos. Damit können Hauseigentümer ihren Mietern den Wechsel deutlich vereinfachen.»

«Das Fehlen von Ladeinfrastruktur zu Hause und am Arbeitsplatz führt bis heute häufig dazu, dass sich Autofahrerinnen und Autofahrer gegen den Kauf eines Elektroautos entscheiden.»

VCS: Ja, aber …

Der Verkehrs-Club der Schweiz VCS begrüsst den Trend zu mehr Elektromobilität – sofern der fossile Treibstoff durch saubere Energie ersetzt wird. «Eine optimale Umweltbilanz ist nur möglich, wenn der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt und nicht aus AKW oder Kohlekraftwerken», sagt VCS-Sprecherin Viera Malach.

Ein weiteres Problem, auf das die Auto-Umweltliste des VCS hinweist: Heutige Elektroautos fahren meist mit Akkus auf Lithiumbasis, bei dessen Abbau giftige Stoffe freigesetzt werden. Zudem ist es noch nicht möglich, Lithium aus gebrauchten Akkus im grossen Stil zu rezyklieren. Allerdings gehen Experten davon aus, dass sich Lithium bald wiederverwerten lässt.

Hinsichtlich der Subventionierung von Elektroautos ist der VCS skeptisch. Man wolle weder Elektroautos fördern noch deren weitere Entwicklung verhindern. Es gehe in Zukunft nicht darum, Autos durch Autos zu ersetzen, sondern die Mobilität und Verkehrswege nachhaltig zu gestalten. Zur Steuerung des motorisierten Individualverkehrs zöge der Verband eine CO²-Abgabe vor. Viera Malach ergänzt: «Hausbesitzer müssen für das Heizen ja auch CO²-Abgaben zahlen. Im Verkehr wäre das ebenso fair – und auch nötig zur Erreichung der Klimaziele.» Elektroautos würden so begünstigt ebenso wie auch andere CO²-verbrauchsarme – etwa erdgasbetriebene – Fahrzeuge.

Der Autor

Andreas Käsermann

Andreas Käsermann
Journalist

Aus «casanostra» 146

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